Ist Zeit wirklich Geld? Kann man immer schneller leben? Und wie hält man im Hamsterrad an? Diese und andere Fragen stellt der Filmer und Buchautor Florian Opitz in seinem 2011 erschienenen Buch „Speed“. Erst gestern Nachmittag habe ich damit begonnen, darin zu lesen. Erst – weil das Buch eigentlich schon seit November auf meinem Nachttisch liegt. Es fiel mir auf, weil es prominent auf dem Ausstellungstisch der Bibliothek stand. Der Untertitel schaffte es, dass ich das Buch zumindest einmal in die Hand nahm. „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“? Um herauszufinden, was der Autor damit meinte, las ich im Stehen den Klappentext. Statt das Buch zurück in die Auslage zu stellen, lieh ich es mit dem unbestimmten Eindruck aus, dass es irgendwie wichtig sei…
Jetzt, gut drei Monate und eine Mahnung später, habe ich es tatsächlich geschafft, darin zu lesen. Anzuhalten und mehr als einen Moment aufmerksam zu sein, ist gar nicht so einfach. Das Hamsterrad, von dem Opitz mit humorvoller Selbstkritik und der Schonungslosigkeit des Dokumentarfilmers schreibt, kenne ich. Es kostete mich einen regelrechten Willensakt, mitten am Nachmittag hinzusitzen und im gleissenden Sonnenlicht am freien Tag mit Lesen zu beginnen. Kaum hatte ich die erste Seite gelesen, wurde mir bewusst, dass meine Sitzgelegenheit unbequem war. Ich musste mich leider damit arrangieren. Es gab nichts in der Nähe, das mehr Komfort versprach. Komisch. Dauernd stiess ich auf Hindernisse, die mich fast wieder von meinem Vorhaben abgebracht hätten. Endlich begann ich doch zu lesen. Und irgendwann nach Seite 30 vergass ich die Geräusche, Menschen und Ablenkungen um mich und war fasziniert vom Inhalt.
Opitz beschreibt Leute wie mich. Leute, die im Blitzgewitter der kurzen Nachrichten, Begegnungen, Gespräche, Eindrücke, Informationen und Bilder überleben wollen. Leute, die beim Stichwort „Zeit“ vor allem empfinden, dass sie fehlt. Fehlt sie wirklich? Oder liegt es am Umgang mit ihr? Jetzt, nachdem ich ein Drittel des Buchs hinter mir habe, verstehe ich das Fazit im Klappentext besser: „Florian Opitz‘ beispielhafte Geschichten machen bewusst, dass wir es sind, die sich dafür entschieden haben, mitzulaufen in dem immer schneller drehenden Hamsterrad. Wenn unsere Wünsche und Sehnsüchte damit gar nicht mehr übereinstimmen, sind wir gefordert, uns neu zu entscheiden.“
Eine der Grundideen des Projekts „Doppel:punkt“ ist es, mitten im Alltagstrott, im Bilderflimmern und Nonstop-Betrieb innezuhalten zu können. Seit November (also gerade solange wie das Buch „Speed“ auf meinem Nachttisch lag…) arbeite ich im OK für diese Veranstaltungswoche mit. Es motiviert mich, an diesem Projekt mitzuarbeiten, das zu einer entscheidend wichtigen Erfahrung im Leben werden könnte. Nicht die ganze Welt wird anhalten, weil in Einsiedeln eine Woche lang verschiedene Gelegenheiten dazu geboten werden. Aber vielleicht warten einige auf diese Insel? Vielleicht ist es sogar der Anfang, Gott (wieder) zu begegnen…
Pfr. Samuel Rath