Gschichtä-Wagä

Mit dem Auftrag in meiner Agenda, irgendein sinnvolles Konzept für eine Strassenpräsenz zu finden, machte ich mich an die gewohnte Google-Recherche. Die Welt ist eine „Guuugel“ geworden, kommt mir noch in den Sinn. Das hatte ich mal auf einem Kabarett-Plakat aufgeschnappt. Aber so geht es nun mal am schnellsten, sich einen Überblick zu verschaffen. Der „Gschichtä-Wagä“, den ich spätabends einmal auf dem Rapperswiler Weihnachtsmarkt entdeckt habe, war mein Ausgangspunkt. Geschichten faszinieren mich. Und es müssen ja nicht Märchen sein.

Bus-Café im AdlermättliMeine Suche führte mich irgendwo in die Ostschweiz. Und ich fand ihn tatsächlich: einen umgebauten Bauwagen namens „Geschichtenwagen“. Innen wie eine heimelige Alphütte. Ein Holztisch. Bänke. In der Ecke ein schwarzer Kanonenofen. Ein kleines Regal mit Büchern. Tassen und Teekrug in einem Schrank. Ich malte mir aus, wie das in Echt sein könnte. Oben am Tisch sitzt die grauhaarige und verschmitzt blinzelnde Erzählerin. Doch niemand interessiert sich wirklich für sie. Obwohl aller Augen auf sie gerichtet sind, scheint der Blick der Zuhörer durch sie hindurch zu gehen. Weit in die Geschichte, die sie mit ganzem Einsatz ihrer Stimmfarben erzählt. Von wegen, heutige Menschen könnten keine 5 Minuten mehr zuhören.

GeschichtenwagenEs erinnert mich an die Geschichten, die mein Vater uns Kindern an unvergesslichen Abenden vorlas. Seine sonore Stimme liess mich damals auch alles ringsherum vergessen. Einmal vergassen wir völlig die Zeit und merkten erst um Mitternacht und am Ende des Buches, dass wir den Termin fürs Schlafengehen verpasst hatten. Und Geschichtenerzählen erinnert mich auch an Jesus, der das laufend tat. Seine Predigten bestanden oft aus Geschichten. Wenn ich das nur auch so könnte. Es müssen kräftige, und wohl im Original schon etwas längere und ausgeschmücktere Geschichten gewesen sein. Ich wäre gern dabei gewesen. Zum Glück sind sie noch erhalten. Das beweist die Wirkung, die sie wohl hatten. Und wirklich: wenn ich sie in Ruhe lese, werden sie ausführlicher. Die Zwischenzeilen füllen sich mit Schlussfolgerungen und Eindrücken, die zur Geschichte gehören. Gehört haben müssen. Es ist wohl mit dem Erzählen wie beim Sirup, der verdünnt wird und damit erst genossen werden kann. Geschichten müssen einfach erzählt werden.

IMG_4835Meine Recherche an diesem ersten Tag endete dann bei einem grauen Bürokontainer, der ein etwas schaler Ersatz für den romantischen Märli-Wage gewesen wäre. Ganz glücklich war ich mit diesem Konzept nicht. Und es kam dann auch ganz anders. Eine weitere Recherche liess mich glücklich beim Verein „Buscafé“ landen. In einem tollen, buntverzierten Begegnungsbus werden nun auf dem Adlermätteli ab Dienstag, 10. März 2015 Geschichten erzählt. Im Originalton gelesene. Und für Kinder (und Eltern) mit Leben erfüllte und nacherzählte. Und irgendwie sehe ich immer noch die Bretterwände des Bauwagens vor mir, wenn ich daran denke. Das wird wohl niemand dann so gehen, wie mir. Macht nichts. Die Geschichten sind das Wichtige daran. Vor allem, wenn es Jesus-Geschichten sind. Ich freue mich, wenn es passiert, dass der Blick zwar die schöne Einrichtung des Buscafés wahrnimmt, den Lippen des Erzählers folgt, und doch viel weiter geht. Weit in die Geschichte hinein. Bis zu Jesus…

Pfr. Samuel Rath

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